Mun ist eine blinde junge Frau, die sich erhofft durch eine Operation ihr Augenlicht wiederzuerlangen. Alles scheint sich für sie zum Guten zu wenden, da der Eingriff ohne
Komplikationen verläuft. Zuerst genießt sie ihre neue "Gabe", doch schon nach kurzer Zeit beginnt ihr Leben aus dem Ruder zu laufen. Es dauert etwas bis sie realisiert,
dass einige der Personen die ihr seitdem über den Weg laufen Tote sind.
Mit dieser unfreiwillig erlangten Fähigkeit kommt sie überhaupt nicht klar. Obwohl ihr die Geister nur beiläufig erscheinen und sie nicht anrühren, bekommt sie zusehends
psychische Probleme. Deshalb bittet sie einen jungen Therapeuten um seine Hilfe. Ganz angetan von der hübschen Frau versucht der näheres über ihre Operation und
die Augenspenderin herauszufinden.
Er wird fündig und macht sich mit Mun auf nach Thailand, wo sie näheres über die ehemaligen Lebensumstände ihrer Spenderin Ling erfahren möchte. Dort erwartet die
beiden eine traurige Geschichte über das Schicksal des toten Mädchens.
Ein spannender und nervenzerfetzender Horrorfilm aus Hongkong? Das kann nicht sein! Doch, denn sieht man einmal vom ähnlich gelungenen und fast zeitgleich
entstandenen Inner Senses ab, dann liefern die beiden thailändischen Regisseure Danny und Oxide
Pang mit The Eye, den einzigen durchweg gelungenen kantonesischen Genrefilm seit Ringo Lam´s The Victim.
Ihr Film liegt dabei voll im allgemeinen Trend aktueller internationaler Horrorproduktionen. Weit davon entfernt eine bahnbrechend neue Geschichte zu erzählen, sind
Parallelen zu The Sixth Sense und dem ein oder anderen Japangruseler zweifelsfrei vorhanden. Die Pangs mühen sich jedoch redlich diese altbekannte Thematik zu
variieren und ihr neue Seiten abzugewinnen. Im Großen und Ganzen ist ihnen das auch gut gelungen, so dass ihr Film nur sehr selten in die typischen Klischeefallen
tappt.
Eine der großen Stärken von The Eye ist zweifelsfrei das Drehbuch. Innerhalb der Genregrenzen betrachtet erweist sich die liebevoll und sorgsam konstruierte
Geschichte als weitestgehend geschlossen und nachvollziehbar. Endlich darf man auch mal wieder bei einem Genrefilm aus Hongkong von einer überaus geglückten
Symbiose aus einer nahezu perfekten formalen Umsetzung und einem überzeugenden Inhalt sprechen. Gegenüber den traditionell stärkeren Drehbüchern aus
Hollywood und Japan braucht sich der Film also keinesfalls zu verstecken. Obwohl sich die Geschichte eher bedächtig als reißerisch entwickelt, lassen sich keine
größeren Längen feststellen. Das spricht in erster Linie auch für das erzählerische Talent der Pangs, von dem es bei ihrem Vorgängerfilm Bangkok Dangerous nicht
allzu viel zu entdecken gab. Mit The Eye bescheren sie dem Zuschauer allerdings eine ganze Reihe von unvorhersehbaren Plottwists, die dafür sorgen, dass der
Suspensefaktor stetig gesteigert wird. Obwohl der Film im letzten Drittel phasenweise ein wenig schwächelt, gelingt es ihnen konsequent diese Spannung
aufrechtzuerhalten, so dass der Zuschauer jederzeit bei der Stange gehalten wird.
Einen weiteren reizvollen Aspekt hat das Drehbuchs auch in Form der glaubwürdig gezeichneten Charaktere zu bieten. Vor allem Hauptdarstellerin Angelica Lee, weiß
die Möglichkeiten der Geschichte hervorragend für sich zu nutzen. Die Newcomerin liefert eine wirklich fabelhafte Leistung und versteht es ausgezeichnet, die
zerbrechliche Natur ihrer Figur mit großem Leben zu füllen, so dass der Zuschauer stets auf ihrer Seite ist und bei jedem Schicksalsschlag, der ihrem Charakter
wiederfährt, mitleiden muss. Gegen die Dominanz von Lee sieht ihr männlicher Filmpartner Lawrence Chou allerdings reichlich blass aus und wirkt hier dementsprechend
verloren. Im Großen und Ganzen muss man aber feststellen, dass auch der Rest der Besetzung ansprechende Leistungen abliefert.
Zu einem sehr sehenswerten Ereignis wird The Eye nicht zuletzt durch die formale Kompetenz der beiden Regisseure. Ihre phantasievolle Inszenierung sorgt dafür, dass
der Film zumindest in den ersten siebzig Minuten einfach mordsspannend und über weite Strecken auch richtig atmosphärisch ist. Kameraführung und Schnitt sind
einfach exzellent, aber auch das bedrohliche Sounddesign kann hier voll und ganz überzeugen und erinnert qualitativ an einige der großen japanischen Genrevertreter.
Das größte Kompliment, dass man den Pangs allerdings machen muss, ist, dass es ihnen hier im Gegensatz zum Vorgänger wesentlich überzeugender gelungen ist,
ihre formalen Finessen dem Gesamtwerk unterzuordnen und sinnvoll für die Geschichte einzusetzen. Besonders auffällig wird das bei den zahlreichen Digitaleffekten,
die der Handlung im Großen und Ganzen sehr dienlich sind und den Film so nicht zum aufgesetzten Spektakel verkommen lassen.
In Sachen Horror erweist sich The Eye somit als höchst effektiv, so dass man den Film ohne Zweifel auch in dieser Hinsicht zu den besten Genrevertretern der letzten
Jahre zählen kann. Die Pangs liefern hier kurzum einige der gruseligsten Momente seit langem. Der Gänsehautfaktor wird stets bis auf äußerste strapaziert, so dass
Langeweile zum absoluten Fremdwort verkommt. Allein schon wegen der nagelbeißend spannenden Fahrstuhlszene sollte man den Film auf jeden Fall gesehen haben.
Lediglich im letzten Drittel, als sich das Geschehen von Hongkong in den thailändischen Dschungel verlagert, wird der Horror doch etwas zu beliebig und verliert sich zu
sehr in Standards. Trotz der nicht vollständig befriedigenden Auflösung haben die Pangs dann allerdings noch ein knalliges und sehr effektreiches Finale in petto, dass
diese Schwächen im nachhinein wieder schnell vergessen lässt.
Unterm Strich bleibt ein atmosphärischer und gruseliger Genrestreifen, der stellenweise einfach mordspannend ist und trotz kleinerer Auflösungsschwierigkeiten
nebenbei noch über eine gute Geschichte verfügt. Mehr kann man von einem modernen Horrorfilm einfach nicht erwarten.
(S.G.)
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zur THE EYE Kritik auf THE
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